In Niedersachsen ist unlängst ein V-Mann des Landeskriminalamtes enttarnt worden. Ralf Gross hatte seit dem Frühjahr 2012 Tierrechtsgruppen infiltriert. Im Mittelpunkt seines Einsatzes stand offensichtlich die Kampagne gegen die Schlachtfabriken und Mastanlagen in Norddeutschland. Zahlreiche Medien haben das Thema aufgegriffen und berichten ausführlich über die Aktivitäten des V-Manns (NDR: TV, Radio, Online | taz | HAZ | topagrar). Auf antiindustryfarm wurde zudem eine Stellungnahme veröffentlicht und es wird mittlerweile über einen weiteren Anwerbungsversuch berichtet. Das Kampagnenbündnis ruft für den 8. Februar zu einer Demo gegen Überwachung und Tierfabriken in Hannover (13h, Steintor) auf.
tierrechtsbewegung.info informiert in einem Interview mit Eva, einer Aktivistin der Kampagne, über die Überwachung und Repression gegen Tierrechtsaktivismus:
tierrechtsbewegung.info: Hat dich die Tatsache, dass eine V-Person eure Zusammenhänge und die Tierrechtsbewegung infiltrierte, überrascht?
Eva: Allein die Erfahrungen, die ich direkt mit Polizist_innen, Richter_innen und Staatsanwält_innen gemacht habe, haben mich gelehrt, dass den Repressionsorganen so einige Widerlichkeiten zuzutrauen sind. Dass sich ein Spitzel in unseren Zusammenhängen befinden könnte, stand in der Theorie immer mal wieder im Raum. Aber als sich herausstellte, dass sich tatsächlich ein Spitzel in unseren Reihen befindet, hat mich das dann doch nochmal sehr schockiert.
Wie ging es dir nach der Aufdeckung persönlich damit, dass ein vermeintlicher Aktivist aus den eigenen Reihen eine Person mit ganz anderen Absichten war, als er vorgab?
Wie schon erwähnt, war ich sehr schockiert. Schließlich habe ich dem Menschen gewissermaßen vertraut. Er hat uns immer wieder von seiner Motivation berichtet, gegen das Leid, was in dieser Gesellschaft den Tieren angetan wird, vorzugehen. Als sich herausstellte, dass er uns nur was vorspielte und unser Vertrauen missbrauchte, hat mich das unglaublich wütend gemacht.
Welche Anzeichen haben sich im Nachhinein als besonders wichtig für den Verdacht, “Ralf” könne ein Spitzel sein, herausgestellt?
Das war eine ganze Facette von Auffälligkeiten, er hat z.B. in unpassenden Momenten Räume verlassen, um zu telefonieren, er hat aus ungeklärten Gründen von einem Aktionsvorbereitungstreffen erfahren, er hat sehr nervös reagiert, als Leute sich seinen Laptop ausleihen wollten etc. Als nach der zweiten gescheiterten Schlachthof-Blockadeaktion der Verdacht nahe lag, dass Informationen von „innen“ zu der Polizei gedrungen sind, haben wir die Anzahl von Verdachtsmomenten zusammengetragen. Es hat sich herausgestellt, dass viele Personen unabhängig voneinander eine Vielzahl von Verdachtsmomenten vorbringen konnten. Das alleine waren noch keine handfesten Beweise, aber es hat uns dazu veranlasst, den Verdächtigungen konkret nachzugehen.
Warum interessieren sich die Behörden deiner Meinung nach gerade für die Tierbefreiungsbewegung und insbesondere für die Proteste gegen Schlachthöfe und Mastanlagen?
Betroffen von Repression sind potenziell alle, die sich Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnissen in den Weg stellen. Das tut die Tierbefreiungsbewegung. Mit unserem Protest und Widerstand gegen Schlachtfabriken und Mastanlagen haben wir immer versucht, deutlich zu machen, dass Tierfabriken lediglich Symptome einer widerspruchsvollen Gesellschaft sind, die auf Ausbeutung von Menschen und Tieren beruht. Der Polizeiapparat offenbart in diesem Fall nur seinen wirklichen Aufgabenbereich: den Schutz des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Der Schutz von Menschen vor Gewalt ist dabei nur nebensächlich.
Welches Motiv hatte “Ralf” eurer Meinung nach persönlich beim Unterwandern eurer Zusammenhänge und der Weitergabe von Informationen? Welche “wahre” Identität könnte er haben?
Wir gehen gerade sehr stark davon aus, dass Ralf kein ausgebildeter Polizist ist, sondern ein von der Polizei bzw. vom niedersächsischen Staatschutz eingeschleuster V-Mann. Dass heißt, er ist wahrscheinlich wirklich Frührentner und die Bespitzelung war sein Nebenjob. V-Leute werden von der Polizei oder dem Verfassungsschutz in Zusammenhänge eingeschleust – oft sind es welche, die selbst mal der Szene nahe standen/stehen. Während des ganzen Einsatzes haben die dann einen VP-Führer, der immer erreichbar ist und auf dem Laufenden gehalten wird. Über sein persönliches Interesse lässt sich zu diesem Zeitpunkt nur spekulieren, wahrscheinlich hat er für diesen „Job“ einiges an Geld bekommen.
Eine Taktik von enttarnten verdeckten Ermittler_innen in der internationalen Tierrechtsbewegung war es, auch persönliche (bis hin zu sexuellen) Beziehungen zu Aktivist_innen einzugehen. Hat “Ralf” Versuche unternommen, Freundschaften zu knüpfen bzw. mit Euch über Privates gesprochen?
Das war unterschiedlich, der meiste Kontakt mit Ralf lässt sich als rein „technischer“ Kontakt beschreiben. Er erkundigte sich so gut wie nie danach, wie es einzelnen Menschen ging. Aber hin und wieder kam es auch vor, dass Einzelne tiefer gehende emotionale Gespräche mit ihm führten. Aber als freundschaftliches Verhältnis konnte das niemand beschreiben.
Wie erklärst Du Dir, dass bestimmte Aktionen wie z.B. Schlachthofblockaden anscheinend durch den Spitzel durch vorherige Informationsweitergabe an die Polizei verhindert wurden, obwohl dadurch sein weiterer Einsatz gefährdet wurde?
Diese Aktionen greifen direkt in das Geschehen der Schlachtfabriken ein, sie bedeuten einen ökonomischen Schaden für die Unternehmen, stoßen auf eine breite Akzeptanz der Bevölkerung, sind sehr motivierend für die Bewegung und bringen oft nur sehr geringe Nachteile für die Aktivist_innen mit sich.
“Ralf” hat nicht nur die Tierbefreiungsbewegung und andere linke Zusammenhänge ausgespäht, sondern auch versucht, Aktivist_innen zu nicht-legalen Aktionen anzustiften und sich damit strafbar gemacht. Seht ihr daher (oder auf Grund seines Einsatzes an sich) die Möglichkeit für Konsequenzen auf rechtlichem Wege?
Wir sind gerade noch dabei uns zu informieren, welche rechtlichen Schritte sich einleiten lassen. Viel wichtiger finden wir gerade die politische Auseinandersetzung mit dem Thema, hierbei kann eine juristische Auseinandersetzung hilfreich aber nicht ausschlaggebend sein.
Was würdet ihr anderen Aktivist_innen im Hinblick auf den Umgang mit der Problematik Spitzel und verdeckte Ermittler_innen raten? Wie kann man diese mögliche Gefahr berücksichtigen und aufmerksam sein, andererseits aber verhindern, in Paranoia oder zu große Skepsis gegenüber neuen Aktivist_innen zu verfallen und weiterhin handlungsfähig bleiben?
Diese Frage lässt sich sehr schwer beantworten. Wir haben da als Gruppe und als Einzelpersonen noch kein endgültiges Fazit gezogen. Ein Austausch mit möglichst vielen Aktivist_innen wird dafür notwendig sein. Mit dem 2004 bei Assoziation A erschienenen Buch „Spitzel. Eine kleine Sozialgeschichte“, der Broschüre „Schöner Leben ohne Spitzel“ von der ALB und den ausführlichen Berichten zur Enttarnung von Simon Brommer/Brenner sind wichtige Schritte gemacht worden.
Klar ist, dass sich keine Lösung, die auf alle Situationen anwendbar ist, finden lassen wird. Aktivist_innen, die sich gegen Unterdrückung und Ausbeutung zur Wehr setzen, müssen lernen, mit dieser Gefahr umzugehen und sich einerseits vor der Infiltration des politischen Gegners zu schützen und andererseits handlungsfähig zu bleiben.
Wir werden in Kürze Infoveranstaltungen zu unseren Erfahrungen mit dem aufgedeckten Spitzel Ralf Gross anbieten. Schreibt uns gerne, wenn ihr welche in euren Städten organisieren möchtet.
Eine Möglichkeit, praktische Solidarität mit dem betroffenen Zusammenhang zu üben, wird die Demo am 08.02.14 in Hannover sein.
Wir möchten uns abschließend bei dir für das Interview bedanken und wünschen euch viel Kraft für die nächsten Wochen und Monate!
Weitere Informationen:
Kampagne “Schlachtfabriken verhindern”: Homepage | Kontakt | Repression gegen die Kampagne
Berichte und Stellungnahmen: Aktuelle Stellungnahme der Kampagne | Bericht zu weiteren Anwerbungsversuch | Indymedia
Presseberichte: NDR: TV, Radio, Online | taz | HAZ | topagrar
Aus: http://tierrechtsbewegung.info/2014/01/repression-niedersachsen/
26. Januar 2014